Senatsausschuss untersucht internationale Steuergestaltung des Apple-Konzerns

Das Permanent Subcommittee on Investigations (PSI) hat unter dem Vorsitz des demokratischen Senators Carl Levin eine weitere Anhörung zur Gewinnverlagerung in Steueroasen durchgeführt (fünfstündige Videoaufzeichnung unter http://www.hsgac.senate.gov/subcommittees/investigations/hearings/offshore-profit-shifting-and-the-us-tax-code_-part-2). Nachdem es bei der vorherigen Sitzung im September 2012 um die internationalen Steuerkniffe von Microsoft und Hewlett Packard gegangen war, befasste sich das PSI am 21.5.2013 ausschließlich mit den „aggressiven“ Gestaltungsmaßnahmen des Smartphone- und Computerherstellers Apple.

Die Entwicklung des Apple-Konzerns ist eine wirtschaftliche Erfolgsstory ohnegleichen. Das Unternehmen stand 1997 kurz vor der Insolvenz und ist dann unter Führung des charismatischen Steve Jobs vorübergehend zur wertvollsten börsennotierten Gesellschaft der Welt aufgestiegen (Höchststand der Apple-Aktie bei 705 Dollar am 21.9.2012). Der weltbekannte Hersteller von iPhones, iPads, iPods und Mac-Computern hat im Geschäftsjahr 2011/2012 einen Konzernumsatz in Höhe von 156,5 Mrd. Dollar erzielt, der Konzerngewinn belief sich auf sagenhafte 41,7 Mrd. Dollar. Während die Muttergesellschaft Apple Inc. die Gewinne aus dem Nord- und Südamerikageschäft laufend in den USA versteuert (6,0 Mrd. Dollar Steuerzahlung im Jahr 2012), landen die Gewinne aus dem Europa- und Asiengeschäft praktisch unbesteuert in zwei irischen Konzerngesesellschaften, wo sie Jahr für Jahr thesauriert werden. Apple hat dort mittlerweile ca. 102 Mrd. Dollar an flüssigen Mitteln angehäuft, die im Fall der Ausschüttung an die US-Muttergesellschaft voll steuerpflichtig wären (ausländische Schachteldividenden werden in den USA nicht ermäßigt besteuert, sondern unterliegen einem Steuersatz von 35 %). Da Apple einerseits den Steuerstundungseffekt der Thesaurierung („deferral“) so lange wie möglich aufrecht erhalten möchte, andererseits aber auch die berechtigten Ausschüttungswünsche der Aktionäre erfüllen muss, hat das Unternehmen vor wenigen Wochen Anleihen im Umfang von 17 Mrd. Dollar emittiert, um sich die nötige Liquidität am Kapitalmarkt zu beschaffen. Die Fremdfinanzierung der Ausschüttungen ist im Vergleich zur steuerpflichtigen „repatriation“ der Oasengewinne deutlich günstiger, zumal die Anleihezinsen auch noch in den USA steuerlich abziehbar sind.

Nach den detaillierten Feststellungen des PSI ist der Apple-Konzern bei der Gestaltung seiner steuerlichen Verhältnisse mit derselben Kreativität vorgegangen, die auch seine innovativen Produkte auszeichnet (vierzigseitiges Memorandum der Senatoren Carl Levin und John McCain vom 21.5.2013, PDF-Download unter http://www.levin.senate.gov/download/?id=fc514a8c-5890-47c4-ba7c-149e4a8474c2). Das Apple-Steuergestaltungsmodell nutzt einige bekannte Bausteine, die typisch für amerikanische Oasengestaltungen sind (s. dazu im Einzelnen Pinkernell, IStR 2012, 180, 181 ff.), weist jedoch auch verblüffende Besonderheiten auf: Am Anfang steht – wie in den meisten Fällen – die Übertragung werthaltiger immaterieller Wirtschaftsgüter auf niedrig besteuerte Holding- und Lizenzgesellschaften. Im konkreten Fall handelt es sich um zwei in Irland gegründete Gesellschaften (Apple Operations Europe – AOE – und Apple Sales International – ASI). Zwar befindet sich die Apple-Entwicklungsabteilung ganz überwiegend in den USA, weil sich die hochbezahlten US-Ingenieure nicht einfach von Cupertino nach Irland verfrachten lassen. Doch ein Cost Sharing Agreement (CSA) mit der Muttergesellschaft sorgt dafür, dass der für das Auslandsgeschäft benötigte Teil der immateriellen Wirtschaftsgüter fortwährend originär im Vermögen der irischen Gesellschaften entsteht und eine dauerhafte Gewinnzurechnung erlaubt. Da die ausländischen Gesellschaften nur geringe eigene Entwicklungskapazitäten haben (ASI wurde erst 2012 mit Personal ausgestattet), fungiert die US-Muttergesellschaft faktisch als Auftragsentwicklerin der Tochtergesellschaften und erhält dafür nur Kostenbeiträge. Das enorme Gewinnpotenzial der dem Europa- und Asiengeschäft zugewiesenen immateriellen Wirtschaftsgüter (Patente, Software, Marken, Warenzeichen) wird daher ausschließlich im Ausland realisiert.

Dort fallen aber fast keine Ertragsteuern an. Denn Apple eliminiert mögliche Steuerbelastungen in den europäischen und asiatischen Quellenstaaten, wo die Produkte vertrieben werden, durch den Einsatz konzernangehöriger „Low-Risk-Distributoren“, die im Quellenstaat lediglich eine geringe Vertriebsmarge erwirtschaften (die Apple Retail Germany GmbH hat im Geschäftsjahr 2010/2011 sogar einen Verlust erzielt). Die zwischengeschalteten Holdinggesellschaften, die sowohl die immateriellen Wirtschaftsgüter als auch die Beteiligungen an den weltweiten Vertriebsgesellschaften halten, dienen als Abschirmungs- und Thesaurierungsvehikel; die US-Hinzurechnungsbesteuerung wird durch Einsatz hybrider Gesellschaften ausgehebelt, die aus europäischer Sicht Kapitalgesellschaften sind, aber in den USA für eine transparente Besteuerung als „disregarded entity“ optiert haben (Check-the-Box-Wahlrecht).


Die Apple-Gestaltung bringt jedoch im Vergleich zu den bisher bekannt gewordenen Strukturen einige Neuheiten, die man z.T. nicht für möglich halten gehalten hätte: Die Absaugung von Steuersubstrat durch Lizenzgebühren scheint nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, was auch den Einsatz einer niederländischen Durchlaufgesellschaft zur Vermeidung der EU-Quellensteuern („Dutch Sandwich“) entbehrlich macht. An deren Stelle treten Verrechnungspreise, Dividenden und das nirgendwo steuerbare „ocean income“ der Apple Operations International (AOI), einer Gesellschaft ohne Mitarbeiter und Betriebsstätten. Apple erzielt 95 % seines Umsatzes mit physischen Waren, die vom chinesischen Auftragsfertiger Foxconn hergestellt und dann in einer Vertragskette via Irland nach Europa und Asien verkauft werden. Auf ihrem Weg über Irland verwandeln sich die asiatischen Elektronikbauteile in luxuriöse Statussymbole, die schließlich in den deutschen Apple Stores landen und dort reißenden Absatz finden. Am Anfang der Lieferkette steht die ASI, die als wirtschaftliche Inhaberin der internationalen immateriellen Wirtschaftsgüter den Einkaufs- und Herstellungsprozess in Asien steuert („der Gewinn liegt im Einkauf“) und die Produkte mit dem Apple-Branding veredelt. Die Gesellschaft ist zwar nach irischem Recht gegründet worden, unterliegt dort aber mangels Geschäftsleitungsorts nur der beschränkten Steuerpflicht und profitiert zudem – wie alle irischen Apple-Gesellschaften – von einem „Deal“ mit der irischen Regierung, wonach der Steuersatz maximal 2 % betragen darf (regulärer Körperschaftsteuersatz: 12,5 %). Nach den Feststellungen des PSI hat die ASI in den Jahren 2009 bis 2012 ca. 74 Mrd. Dollar mit dem Weiterverkauf der Apple-Produkte an andere Konzerngesellschaften verdient, aber nur 21 Mio. Dollar Steuern gezahlt, d.h. Irland hat nicht einmal den 2%-Deal ausgeschöpft. An sich unterliegen Einkünfte einer niedrig besteuerten ausländischen Basisgesellschaft, die Waren an nahestehende Personen verkauft, der US-Hinzurechnungsbesteuerung (Foreign Base Company Sales Income). Die Hinzurechnung greift aber nicht, weil alle Gesellschaften unterhalb der AOI aus US-Sicht transparent sind, so dass letztlich nur eine ausländische Gesellschaft vorliegt (AOI als oberste Zwischengesellschaft), die eigene immaterielle Wirtschaftsgüter durch Herstellung und Verkauf von Waren an fremde Dritte aktiv verwertet.

Der amerikanische Fiskus kommt nach derzeitigem Recht auch nicht an die Dividenden heran, die von der ASI über die AOE zur AOI fließen. Zwar sind Dividenden passive Einkünfte im Sinne der US-Hinzurechnungsbesteuerung (Foreign Personal Holding Company Income). Sie sind im vorliegenden Fall aber steuerlich irrelevant, weil die ausschüttenden Gesellschaften aufgrund des Check-the-Box-Wahlrechts nicht als Körperschaftsteuersubjekte gelten; es handelt sich um schlichte Umschichtungen innerhalb des Betriebsvermögens der AOI. Irland besteuert die Einkünfte der AOI auch nicht, weil die substanzlose Gesellschaft in Irland weder einen Ort der Geschäftsleitung noch eine sonstige Betriebsstätte hat. Die USA behandeln die AOI als irische Gesellschaft (nach irischem Recht gegründet), die keine Mitarbeiter hat und in den USA weder eine Betriebsstätte unterhält noch eine Geschäftstätigkeit ausübt (in den USA finden zwar Board Meetings statt, was nach US-Recht aber keine Steuerpflicht auslöst). Es liegt also eine quasi „staatenlose“ Gesellschaft vor, die keine Steuererklärungen abgibt und ihre Gewinne mangels unbeschränkter Steuerpflicht nirgendwo versteuert (diesen erstaunlichen Befund hat der Apple-Steuerabteilungsleiter, der als Zeuge geladen war, ausdrücklich bestätigt).

Das keiner Steuerhoheit zuordenbare „ocean income“ bzw. „floating income“ ist nach deutschem Recht gar nicht vorstellbar (BFH-Urteil v. 19.12.2007, I R 19/06, IStR 2008, 330), scheint jedoch nach US-Recht grundsätzlich möglich zu sein (zur großen Überraschung des bekannten Harvard-Professors Stephen Shay, der als Sachverständiger auftrat). Der Ausschussvorsitzende Levin versuchte immerhin, den Gestaltungstrick der nirgendwo ansässigen „ghost companies“ ASI und AOI mit dem Einwand des Scheingeschäfts anzugreifen („sham“). Dem hat der als Zeuge geladene Apple-CEO Tim Cook aber unter Zustimmung anderer Senatoren vehement widersprochen („We pay all the taxes we owe, every single dollar. We not only comply with the laws but we comply with the spirit of the laws“). Der vorliegende negative Zuordnungskonflikt, der sich bereits aus dem nationalen Steuerrecht von zwei OECD-Mitgliedsstaaten mit Welteinkommensprinzip ergibt, dürfte die Fachwelt noch eine Weile beschäftigen.

Die nach Auffassung der meisten Sitzungsteilnehmer wohl rechtmäßige Apple-Gestaltung kann zudem als weiterer Musterfall für das vieldiskutierte BEPS-Phänomen eingeordnet werden (zur Google-Struktur vgl. Pinkernell, StuW 2012, 369). Die Verlagerung ausländischer Verkaufsgewinne in substanzarme Oasengesellschaften ähnelt der auf Seite 76 ff. des OECD-Reports vom 12.2.2013 geschilderten Struktur und zeigt einmal mehr, wie der gesetzliche US-Körperschaftsteuertarif durch faktische Besteuerungswahlrechte ausgehöhlt wird. Irland steht ebenfalls in einem sehr schlechten Licht da, denn der 2%-Deal mit einem bedeutenden Steuerpflichtigen wie Apple sieht nach einer individuellen staatlichen Beihilfe i.S.v. Art 107 Abs. 1 AEUV aus, auch wenn die ursprüngliche Vereinbarung mit Apple bereits aus dem Jahr 1980 stammt. Vor diesem Hintergrund erscheinen die solidarischen Milliarden-Hilfskredite der anderen Euroländer mehr als großzügig, denn Irland will offensichtlich nicht einmal seinen Niedrigsteuersatz von 12,5 % durchsetzen.

Die Ausschusssitzung am 21.5.2013 sollte den Reformbedarf des amerikanischen Außensteuerrechts aufzeigen und US-Präsident Obama bei der Bekämpfung von Steuerschlupflöchern unterstützen; ein Vertreter des US-Finanzministeriums erläuterte dazu kurz die Reformvorschläge im aktuellen Haushaltsentwurf des Präsidenten. Die Republikaner haben den Reparaturversuchen der Obama-Regierung aber längst eigene Entwürfe entgegenstellt, die eine deutliche Absenkung des Körperschaftsteuersatzes bei gleichzeitiger Aufgabe der Kapitalexportneutralität vorsehen. Der einflussreiche Vorsitzende des Committee on Ways and Means des Repräsentantenhauses, Dave Camp, will ein „territorial system“ mit Steuerbefreiung für ausländische Schachteldividenden einführen, um die US-Unternehmen international noch(!) wettbewerbsfähiger zu machen (http://waysandmeans.house.gov/news/documentsingle.aspx?DocumentID=266168); die neuformierte „LIFT America Coalition“ aus führenden Unternehmen verfolgt dasselbe Ziel (http://www.liftamericacoalition.org/). Und Apple-CEO Tim Cook hat seinen Zeugenauftritt vor dem Untersuchungsausschuss geschickt dafür genutzt, nachdrücklich für die steuerschonende Repatriierung aller Oasengewinne zu werben, die sich mittlerweile auf ca. zwei Billionen Dollar belaufen dürften („einstelliger Steuersatz wäre vernünftig“). Die Aussichten dafür sind gar nicht so schlecht, denn ein erneuter „repatriation tax holiday“ könnte unauffällig als Übergangsregelung in eine umfassende Reform des US-Körperschaftsteuerrechts eingebettet werden. Da Apple im Unterschied zu anderen US-Konzernen bereits latente Steuern für einen Teil der etwaigen Ausschüttungsbelastung der Auslandsgewinne passiviert hat, würde sich der Konzerngewinn zur Freude der Aktionäre schlagartig erhöhen.

Dr. Reimar Pinkernell, LL.M., Bonn

17.6.2013